Wir alle haben zwei Leben.
Das erste beginnt am Tag unserer Geburt.
Das zweite beginnt, wenn wir herausfinden, wozu wir bestimmt sind.
Gestern war der Tag, an dem mein zweites Leben begann.
Gestern habe ich mein Leben in Gottes Hände gegeben. Seit gestern trage ich nicht mehr alleine die Verantwortung… für mich, für die Welt, für die Zukunft. Für alle Möglichkeiten, die das Leben zu bieten hat. All diese Verantwortung habe ich in Gottes Hände gegeben. Ich gehöre ihm und ich vertraue ihm.
Mut – das beschreibt es wohl am besten.
Sehr viel Mut hat es mich gekostet, alleine an den Altar zu gehen und meine Lebensübergabe zu feiern. Doch wenn ich eine Sache erkannt habe, dann ist es die, dass man gar nicht alleine ist.
Ich saß auf der Stufe vor dem Altar, innerhalb von einer Sekunde war mein ganzes Gesicht überströmt von Tränen. Und dann habe ich aufgeblickt. Ich sah nach rechts in das Gesicht von demjenigen, ohne den ich gar nicht dort gewesen wäre – Jürgen Kreutzer – ein Pfarrer, der in unserer Seelsorgeeinheit als Vikar angefangen hat und ein solches Feuer in sich trägt, das einfach alle ansteckt. Komm mit Nathalie, wir fahren nach Salzburg… so kam er damals zu mir. Ich wusste sofort, da muss ich hin. Denn wo Jürgen hingeht, kann es nur super werden.
Und er hatte Recht. Natürlich hatte er Recht. Auf dem großen Platz vor dem Dom zu beichten, das war es, was mich am meisten bewegt hat. Und jetzt, dieses Jahr, nicht in Salzburg, sondern so nah an meiner Heimat, mit meinen besten Freunden und dem besten Pfarrer überhaupt, da habe ich mich getraut. Ich habe meinen ganzen Mut zusammen genommen und es war die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe.
Aufeinmal kniet man oben am Altar… eine Sache, die man als Ministrant schon viele Male getan hat. Und doch war es so sehr anders.
Kniend, weinend in den Armen eines eigentlich total fremden Mädchens.
Man spürt die Verbundenheit mit allen, die zur gleichen Zeit den heiligen Geist empfangen. Plötzlich fangen alle an, für einen zu beten und man spürt: „Hier darf ich sein, hier bin ich gut genug… Jesus, in deinen Armen darf ich sein.“
Danke! ✞
Meine Aufgabe ist es, aktiv zu werden. Mit offenen Augen, bemüht und bereit… wozu? Keine Ahnung. Für alles… für alles und jeden. Ich werde es mit dem Leben aufnehmen. Ich stelle mich allen Möglichkeiten. Ich weiß nicht, was das Leben noch für mich bereit hält. Aber ich weiß, die Welt ist für mich bereit und ich für meinen Teil, kann es nicht erwarten.
06.06.2022, Nathalie
(Lebensübergabe am 05.06.2022 in Ulm)